Medienkompetenz stärken, Vertrauen schaffen – was Unternehmen vom Journalismus lernen können
- Daniela Rhyner
- 8. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Apr.

Wie beeinflussen Medien unsere Meinungsbildung – und welche Rolle spielt Journalismus für eine funktionierende Demokratie? Die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit. Wir und der Journalismus» zeigt, wie sich Medienlandschaften, Informationszugänge und journalistische Praxis in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Co-Kurator Thomas Gull, Historiker und Journalist, hat das Projekt mitinitiiert. Im Interview spricht er über die Entstehung der Ausstellung, die Herausforderungen des Journalismus – und darüber, was Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen vom Journalismus lernen können.
Was sind Fakten – und was ist Fake? Welche Rolle spielen Journalismus und Medien für unsere Meinungsbildung und Demokratie? Und wie funktioniert die Arbeit von Medienschaffenden in der Praxis? Mit diesen (zukunfts-)relevanten Fragen beschäftigt sich die interaktive Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit. Wir und der Journalismus». Sie ist aktuell in der Photobastei Zürich und im Museum Enter in Derendingen (SO) zu sehen. Besucher:innen erleben einen journalistischen Parcours, der zeigt, wie die «vierte Gewalt» demokratische Entscheidungen in den letzten 60 Jahren beeinflusst hat, wo sich Schweizer:innen heute informieren – und was die Arbeit von Medienschaffenden umfasst.
Realisiert wurde die Wanderausstellung vom Verein Journalistory.ch – einem Team aus Historiker:innen und Filmemacher:innen, das sich der Mediengeschichte und der gesellschaftlichen Bedeutung des Journalismus widmet. Einer von ihnen ist Thomas Gull – Historiker und Journalist. Er hat uns Fragen zur Ausstellung und zur Rolle der Unternehmenskommunikation beantwortet.
Journalismus und Unternehmenskommunikation heute – 5 Fragen an Thomas Gull
Herr Gull, die Ausstellung kommt in einer Zeit, in der die Medienkompetenz von Bürger:innen immer wichtiger wird. Das ist wohl kein Zufall. Wann kam Ihnen die Idee zur Ausstellung und was war der Auslöser dafür?
Die Idee für unser Projekt ist 2017 im Vorfeld der ersten No-Billag-Initiative entstanden, über die 2018 abgestimmt wurde. Wir haben damals bekannte Journalist:innen in der ganzen Schweiz interviewt mit dem Ziel zu zeigen, wie Medienschaffende arbeiten und wie wichtig ihre Arbeit für die öffentlichen Diskussionen und unsere Demokratie ist. Diese Interviews haben wir bearbeitet und auf unserer Webseite journalistory.ch veröffentlicht. Die Resonanz war allerdings zu gering. Deshalb haben wir uns entschieden, eine Wanderausstellung zu realisieren.
In 16 Kurzfilmen erzählen Journalist:innen, was sie zu ihrem Beruf motiviert hat und wie sie ihre Rolle verstehen. Die Filme handeln von Meilensteinen des Schweizer Journalismus, von Recherchen, die unser Land verändert haben. In einem der Filme wird erwähnt, dass es heute mehr Lobbyist:innen als Medienschaffende gibt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung – gerade mit Blick auf die journalistische Unabhängigkeit?
Das Lobbying ist kein neues Phänomen. Und Lobbying beeinträchtigt die journalistische Unabhängigkeit auch nicht. Problematisch für die journalistische Unabhängigkeit ist, dass die Medienhäuser immer weniger Ressourcen für journalistische Beiträge und Recherchen haben. Deshalb veröffentlichen sie öfter zum Beispiel Beiträge, die auf Medientexten beruhen, die von den Medienabteilungen von Institutionen und Firmen verfasst und verbreitet werden – mit dem Ziel, sich in einem positiven Licht darzustellen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das ist an sich legitim. Problematisch wird es dann, wenn solche Darstellungen von den Medien einfach übernommen werden, ohne sie kritisch zu hinterfragen.
Einige Journalist:innen bemängeln, dass Unternehmen Medienanfragen nur noch selten persönlich und konkret beantworten – oft gebe es lediglich generische PR-Auskünfte. Teilen Sie diese Beobachtung? Und worin sehen Sie den Mehrwert für Unternehmen, die den Dialog mit Medienschaffenden aktiv und respektvoll pflegen?
Der PR-Talk ist eine Seuche. Mit KI wird sie sich noch weiter ausbreiten, weil die künstliche Intelligenz ja nichts Neues oder Authentisches fabriziert, sondern einfach mehr von demselben Einheitsbrei. Aus meiner Sicht hätten Unternehmen ein sehr grosses Interesse daran, authentisch zu kommunizieren und die eigenen Werte zu vermitteln. Doch das ist wie guter Journalismus – aufwändig. Und es braucht Personen in der Kommunikation, die mehr können, als einen Prompt für die KI zu schreiben. Deshalb sind Journalist:innen in Medienabteilungen von Unternehmen und Institutionen willkommen. Ihre Arbeit ist dort aber natürlich nicht mehr dieselbe.
In der Ausstellung wird auch deutlich, wie sich die Informationslandschaft verändert hat: Social Media, Owned Media, Paid Media – Unternehmen kommunizieren heute vermehrt direkt. Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen PR und Journalismus?
Die Unternehmen versuchen heute direkt mit Kund:innen und Partnern zu kommunizieren. Dank den sozialen Medien ist das viel einfacher geworden. Sie brauchen deshalb die traditionellen Medien nicht mehr unbedingt, um ihre Botschaften zu verbreiten. Der Journalismus hat deshalb zumindest teilweise seine Gatekeeper-Funktion (Pförtnerfunktion) verloren, die darin bestand, gewisse Dinge öffentlich zu machen und andere nicht. Wie oben gesagt, ist für den Journalismus wichtig, dass PR-Botschaften nicht ungeprüft übernommen, sondern stets kritisch hinterfragt werden.
Die Ausstellung zeigt auch, wie Medien Vertrauen aufbauen – oder verlieren. Was können Kommunikationsverantwortliche von gutem Journalismus lernen, gerade wenn es um Glaubwürdigkeit, Transparenz und gesellschaftliche Verantwortung geht?
Genau das: Kommunikation sollte möglichst transparent und glaubwürdig sein. Und Unternehmen sollten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein und entsprechend handeln. Wenn sie das tun, dürfen sie das auch gerne so kommunizieren. Wie schnell man Vertrauen verspielen kann, sehen wir gerade in den USA, wo die Trump-Regierung innerhalb von wenigen Wochen das Vertrauen in sie und die USA pulverisiert hat. Dieses wiederherzustellen dürfte für Trump unmöglich sein. Die Folgen für die USA sind katastrophal – und für die ganze Welt.
Fazit
Die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit. Wir und der Journalismus» zeigt eindrücklich, wie Journalismus zur Meinungsbildung beiträgt – und welche Chancen eine glaubwürdige Kommunikation bietet. Sie ermöglicht Kommunikationsverantwortlichen für einmal die Perspektive von Medienschaffenden einzunehmen und ihre Rolle besser zu verstehen. Mit diesem Verständnis können Unternehmen transparent auftreten, Verantwortung übernehmen, Vertrauen schaffen und ihre Position im gesellschaftlichen Dialog stärken. Wer Haltung zeigt und authentisch kommuniziert, wird langfristig gehört – von Medien ebenso wie von Kund:innen und Mitarbeitenden.
Weitere Informationen zur Ausstellung
Photobastei Zürich:
Von 14. März bis 6. Juli 2025, 2. Stock, Mittwoch und Sonntag: 12.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis Samstag: 12.00 bis 21.00 Uhr photobastei.ch
Weitere Standorte: www.suchewahrheit.ch
Tipps:
Newsroom: Teil der Ausstellung und als Escape Room konzipiert. Teams werden aufgefordert, in 25 Minuten eine journalistische Geschichte zu recherchieren und einen faktenbasierten Artikel zu publizieren.
Wettbewerb: Ergänzt wird die Ausstellung durch den journalistischen Wettbewerb Scoop!
Podiumsdiskussion: «Ist der Journalismus noch zu retten? Und wenn ja, wie?»
Dienstag, 6. Mai, 18.30 Uhr Mit: Nina Graf, Journalistin Tsüri.ch und Co-Geschäftsführerin von WePublish, Min Li Marti, Nationalrätin SP, Redaktorin P.S., Linards Udris, Kommunikationswissenschaftler, fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft, UZH, Roger de Weck, Autor von »Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen« (Suhrkamp) / Moderation Thomas Gull, Co-Kurator, Journalist
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